Geschämt

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Sportschütze (gelöschter User)

Re: Geschämt

Beitrag von Sportschütze (gelöschter User) »

Theo aus Herne hat geschrieben: Di 17. Aug 2021, 16:56
Gerade frischt mein Junior sein Französisch auf für die Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch,
äh am Rande der Sahara.
Neues Spiel, neues Glück, neue Ziele für unsere Politikprominenz :?
Weiter so ???
Siehst du, alles freiwillig und somit selbstgewollt.

Ist eben sein selbst gewählter Job für den er sich bezahlen lässt.

Das ist keinesfalls negativ gemeint, ehrlich nicht.

Er wählte zur Bundeswehr zu kommen und macht nun das, was er sich ausgesucht hat.
Nicht mehr und nicht weniger.
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Theo aus Herne
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Re: Geschämt

Beitrag von Theo aus Herne »

Verzeih mir Sportschütze,
wahrscheinlich habe ich mich falsch ausgedrückt.
Es geht in diesem thread nicht um das selbstgewählte Soldatentum meines Sohnes.
Er ist in seinen 30igern und wahrlich alt genug. Das Wort Junior mag darüber getäuscht haben.
Ich wollte auf das Schicksal der vielen alleingelassenen Afghanen hinweisen,
die für Deutschland gearbeitet haben und nun Rache und um ihr Leben fürchten müssen.
Trotz der Warnungen hatte man sie nicht evakuiert und es wirkt auf mich nun eher so,
als wollten unsere Politiker diese Leute mit einer Alibi-Aktion als Absicherung ihrem Schicksal überlassen.

Dann bewegt mich noch die Frage, ob wir die Bundeswehr (als viele Soldaten und nicht mein Sohn als solcher),
wieder in einen Kampfeinsatz führen in einer neuen Region, in der mehrere Interessengruppen gegeneinander kämpfen.
Z.B. Militär als Machtfaktor, gewählte Regierung die gestürzt wird vom Militär, das unsere Armee ausgebildet hat, Bevölkerungsgruppen wie Islamisten, Touareg, Reiche, Arme und Stammesgruppierungen.
Erinnert das nicht fatal an den Hindukusch, den die westlichen Truppen gerade mit allen Folgen verlassen ?
Haben unsere Politiker diesmal einen richtigen Plan, unsere Armee eine gute Ausrüstung, die vom einzelnen Soldaten nicht bei Outdoor Ausstattern privat ergänzt werden muß ?
Oder beginnt alles wieder neu ?
Übrigens, in der Sahel Zone bin ich schon in den Jahren 1986, 1987 und 1988 Bundeswehrsoldaten in BW Fahrzeugen und in Uniform begegnet. Zu meiner extrem großen Verblüffung.
Und da ich vorher selbst die grüne Kluft getragen habe, kann ich für deren Echtheit bürgen.
Ob sie dort zwischenzeitlich immer waren, weiß ich nicht.
Aber auch das mag zum Nachdenken anregen - es sind nun erst 35 Jahre vergangen.
Viele Grüße von mir,
Theo.
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Roland
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Re: Geschämt

Beitrag von Roland »

Präsident Biden gestern:

"Die afghanische Armee sei zusammengebrochen, manchmal ohne den Versuch zu kämpfen. Amerikanische Soldaten könnten und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und sterben, den die afghanische Armee selbst nicht kämpfen wolle."

Wie recht er hat!
Grüße Roland,
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Re: Geschämt

Beitrag von nils.k »

mrjasonaut hat geschrieben: Di 17. Aug 2021, 15:26 Das waren die Mudschaheddin und nicht die Taliban :-)
Ein Blick fünfzig Jahre zurück hilft hier sehr.

In den 1970er Jahren gehörte das Königreich Afghanistan zu den rückständigsten Ländern der Welt. Die Analphabetenquote betrug mehr als 90%.

1973 putschte sich Mohammed Daud Khan an die Macht und rief die Republik Afghanistan aus. Sein Plan bestand darin, in dieser geopolitisch wichtigen Region der Welt sowohl von der Sowjetunion als auch von den USA Unterstützung zu fordern. Doch in den nächsten Jahren machten seine Reformen kaum Fortschritte. Die Beziehungen zur Sowjetunion verschlechterten sich schnell.

Am 27. April 1978 folgte der nächste Staatsstreich unter kommunistischer Führung. Die Demokratische Republik Afghanistan wurde gegründet. Ihre Führer waren voll auf Linie der sowjetischen Parteigenossen. Der Rückhalt in der Bevölkerung schwand jedoch zusehens. Deshalb marschierten sowjetische Truppen am 24.12.1979 in Afghanistan ein. Damit begann ein Bürgerkrieg, der bis heute nicht ausgestanden ist.
Die USA standen in diesem Bürgerkrieg auf der Seite aller Gegner der sowjetischen Intervention. Insbesondere finanzierten sie in der verdeckten Operation Cyclone die Mudschahedin in Pakistan mit mehreren Milliarden $ (geschätzt flossen zwischen 6 und 12 Mrd $ aus den USA, Saudi-Arabien und China). Das primäre Ziel der Widerstandskämpfer war das Zurückdrängen des Säkularisierungsprogramms in Afghanistan, das Ziel der USA das Zurückdrängen der Sowjetunion aus diesem Tel Zentralasiens.

Nach einem fast zehnjährigen zermürbenden Stellvertreterkrieg zog sich die Sowjetarmee aus dem Land zurück. In das entstehende Machtvakuum stießen rivalisierende Gruppen von Regionalmilizen, bestens ausgerüstet mit Geld und Waffen aus den USA. Diese wiederum zogen ihre Unterstützung aus der Region ab, mit dem Zerfall der Sowjetunion waren die amerikanischen Ziele erreicht.

Die Taliban formierten sich 1994, um mit Hilfe Pakistans einen auf der Scharia basierenden Gottesstaat zu errichten. Diese Bemühungen passten allerdings nicht in das geopolitische Konzept der USA, die 2001 die Intervention in diesem Land begannen. Doch die Erwartung, eine Demokratie nach westlichem Vorbild mit militärischer und finanzieller Unterstützung in Afghanistan installieren zu können, ging nicht auf. Ein wesentlicher Grund dafür war, keinerlei Unterschiede zwischen Taliban, Mudschahedin und Al-Quaida zu machen und damit die rivalisierenden Gruppen letztlich zu einer einheitlichen Front mit dem einzigen Ziel der Beendigung der Militärintervention zusammengeführt zu haben.

Wie wenig Erfolg diese gigantische Einflussnahme gebracht hat, haben wohl selbst die größten Skeptiker dieses Militäreinsatzes nicht erwartet. Vielleicht sollte man dabei bedenken, dass fast alle Afghanen ihr gesamtes Leben über nur mit Gewalt und fremden Truppen im eigenen Land verbracht haben. Vielen ist es viel wichtiger, wieder selbst über die eigenen Geschicke entscheiden zu können, als einen Gottesstaat zu verhindern. Die Taliban sind Teil der Gesellschaft, ein sehr radikaler Teil, aber es sind die Brüder und Schwestern.
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Re: Geschämt

Beitrag von don.ronaldo »

Gute Zusammenfassung.
Man könnte noch weiter zurückgehen: Schon das Britische Empire hat sich im 19. Jh. in Afghanistan eine blutige Nase geholt.
Man hätte daraus lernen können, aber in Militärkreisen gibts nicht so viel Historiker. ;)
..
In dem Zusammenhang fand ich sehr spannend: Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung von gestern oder vom Wochenende (lässt sich suchmaschinen) erklärt übrigens gut, warum Länder in der Region mit ursprünglich ähnlichen feudalen Strukturen (z.B. Usbekistan, Turkmenien usw.) wie in Afghanistan wesentlich weniger anfällig für radikalen Islamismus sind: Hier hat die Sowjetunion mit eisernem Besen eben diese Strukturen hinweggefegt. Dass etwa Frauen in den 1970ern auf Traktoren saßen, Flugzeuge steuerten oder technische Berufe ausübten, war völlig normal.
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Re: Geschämt

Beitrag von mrjasonaut »

Hier gibt es noch was für die Ironiker unter uns (mit viel Zeit).

https://en.wikipedia.org/wiki/This_Is_W ... stitutions.



Statt des zynischen Sprungs ins Gewühl versucht []ein Ironiker alter Schule die Selbsterhebung über dem Getümmel.
Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft
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Re: Geschämt

Beitrag von mrjasonaut »

Upps.


"Uganda is to take in 2,000 refugees who have fled Afghanistan after Taliban militants took power on Sunday.
..
The first group of 500 Afghans were expected to arrive on Tuesday, but officials now say discussions about the arrangements are still ongoing.
..
The US is to cover these costs."

https://www.bbc.com/news/world-africa-58236663

Nennt man das 'outsourcing' ?

Das war wohl der chinesische Verkehrsminister Um-Lei-Tung ?
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Re: Geschämt

Beitrag von Lee »

Roland hat geschrieben: Mi 18. Aug 2021, 10:03 Präsident Biden gestern:

"Die afghanische Armee sei zusammengebrochen, manchmal ohne den Versuch zu kämpfen. Amerikanische Soldaten könnten und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und sterben, den die afghanische Armee selbst nicht kämpfen wolle."

Wie recht er hat!
Ja.

Aber trotzdem hätten die USA und ihre Verbündeten mit einem geordneten, langsameren Rückzug all die jetzigen Szenen verhindern können ohne dabei überhaupt kämpfen zu müssen. Man hätte in aller Ruhe die Evakuierungen abschließen können ohne dabei von den Taliban angegriffen zu werden. Die Taliban wussten genau dass das Land danach in ihre Hände fallen würde, warum hätten sie kämpfen sollen.

Dieser Fehler allein kann über Bidens Präsidentschaft entscheiden. Die Amerikaner mögen solch Bilder überhaupt nicht. Und die Republikaner werden sich jetzt mit einem potentiell angeschlagenen Präsidenten noch weniger kompromissbereit zeigen als sie es eh schon sind.
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Re: Geschämt

Beitrag von Tanausú »

8-) Immerhin...
.
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Re: Geschämt

Beitrag von Birigoyo »

Zum Thema gibt es eine bemerkenswerte Dokumentation :

" Ghosts of Afghanistan " Canada 2021

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinf ... n-100.html
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Re: Geschämt

Beitrag von LaGraja »

Der SPIEGEL-Korrespondent Christoph Reuter berichtet in der heutigen Ausgabe, wie er im Juli mit einem der Militär-Kommandeure der Taliban (der jetzt auf einem Foto aus dem Präsidentenpalast zu sehen war) sprach und diesen fragte, wann sie denn in Kabul einmarschieren würden. Der Mann lächelte und sagte: "Wir sind schon längst da".

Damit ist wohl erklärt, wir es die Taliban geschafft haben, unter den Argusaugen sämtlicher westlicher Geheimdienste (auch des israelischen) das Land geschmeidig und ohne große Kämpfe innerhalb weniger Wochen -Kabul innerhalb weniger Tage- komplett zu übernehmen. Jetzt schauen sie lieb, lassen sich auch mal von einer Frau ohne Tschador interviewen und können kein Wässerchen trüben. Erst wenn die fremden Truppen endgültig vom Flughafen verschwunden sind, werden sie ihr wahres Gesicht zeigen. Bis dahin werden auch die ersten Wirtschaftsbeziehungen mit China, Russland, Pakistan und arabischen Emiraten aufgebaut sein, die ersten Investoren bewerben sich um der Abbau der wertvollen Ressourcen. Niemand von denen wird sich für Menschenrechte interessieren.
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Re: Geschämt

Beitrag von Josch »

Ja, man muß sich schämen !
Man stellt sich das doch so vor:
Hier habt ihr schon mal einen Asylantrag, füllt ihn evtl. schon mal aus und wir legen ihn schon mal vorab auf's "Eis".
Die Frage ob "die Helfer" in dieser Situation mit dem Leben bedroht sind...ist doch keine Frage !
Also nach Vietnam und jetzt Afghanistan sollte man doch endlich mal verstehen....Demokratie läßt sich auf
diese Weise nicht "erzwingen"......mir fiel jetzt kein besseres Wort ein...
Bei der jetzt überstürzten Rettungsaktion....bei dem totalen Chaos, da konnte man leider nur fast leere Maschinen
zurückfliegen,
Das die USA sich zurückzieht, das war ja schon lange vorher bekannt, und dann sowas.
Hoffendlich kommt dieses schwer geprüfte Land voller Bodenschätze (irgendwann mal) wieder auf die Beine.
Vielleicht hat man sich auch zu wenig um die Hungersnot im Land gekümmert.
Grüße....bleibt gesund
Josch
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Re: Geschämt - Mein lieber Schollie

Beitrag von mrjasonaut »

Hier noch bissl alte Geschichte(n).
Opa verzählt vom Krieg.
RIP.



ff. (1-5)
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Re: Geschämt

Beitrag von LaGraja »

Ich habe gerade das Buch "Kampf dem Terror- Kampf dem Islam?" von Scholl-Latour aus dem Jahr 2002 (!) wieder entstaubt. Ab Seite 61 beschreibt er genau, warum der Einsatz der USA und der Nato vom Oktober 2001 am Ende scheitern musste. Es ist geradezu grotesk, wie die mit Milliarden (Billionen?) gepamperten Geheimdienste der USA und der NATO-Länder von einem ziemlich selbstgerechten, ultrakonservativen Journalisten vor fast 20 Jahren vorgeführt wurden. Scholl-Latour beschreibt auch die wahren Gründe für die amerikanische Invasion in Afghanistan: nicht etwa die Einführung der Demokratie, was angesichts der archaischen Stammes- und Clanstrukturen und der vielen konkurrierenden Völkerschaften (40 Sprachen!) und der fundamentalistisch islamischen Prägung der Gesellschaft auch vollkommen irre erscheint, sondern die Bodenschätze und eine geplante Pipeline über afghanisches Gebiet, für die etliche Warlords mit Millionen bestochen wurden. Auch Mullah Omar, der damalige Häuptling der Taliban, wurde für sein Einverständnis mit dem Pipeline-Projekt mit Millionen zugeschüttet.
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